Bericht im „Spiegel“ (Nr.50/2001)

Die Hauptschule Taufkirchen
im „Spiegel“ Nr. 50/2001 vom 10.12.2001
Seite 70 f:

DIE PISA-ANALYSE
Sind deutsche Schüler doof?

Die OECD-Studie Pisa bringt es an den Tag: Im internationalen Vergleich versagen die deutschen Schulen. Die Schüler können schlecht lesen, unzureichend rechnen, Probleme lösen schon gar nicht – eine Bilanz mit den Pisa-Aufgaben, den Ergebnissen, den Konzepten gegen die Bildungsmisere.


Nach dem verlorenen Viertel, ganz ans untere Ende der Pisa-Leistungsskala, hat ohnehin schon lange kein deutscher Schulpolitiker geguckt. „Die Schulpolitik“, sagt Duske, „kümmert sich am liebsten um die Besten, die Begabten, die Eliten, nicht um die, die es nicht schaffen. Unsere Schüler aber werden einfach abgehängt.“

Damit will sich Josef Hofstetter, Konrektor der Hauptschule im bayerischen Taufkirchen, nicht abfinden. Die Schule in der 8500-Seelen-Gemeinde nordöstlich von München wurde erst kürzlich von Bundespräsident Johannes Rau mit dem „Hauptschulpreis 2001“ ausgezeichnet, den die Hertie-Stiftung zusammen mit dem Arbeitgeber- und Lehrerverband auslobt.

Das Kollegium ist stolz auf die Anerkennung, denn der Preis ist auch ein Etappensieg in einem Kampf, der vor zehn Jahren begann und aus der Hauptschule am Rande des Erdinger Mooses eine pädagogische Musteranstalt machte.

Damals bekam die Idylle in Taufkirchen Risse, die scheinbar heile Welt der rund 350 fast ausschließlich deutschen Schulkinder bröckelte. Drogen wurden an der Hauptschule entdeckt. Was nahezu Alltag ist in Berlin, Hamburg oder München, war für die kleine Gemeinde ein Schock. „Da standen wir vor der Frage, machen wir’s nur mit der Polizei, oder gehen wir das positiv an?“, sagt Hofstetter.

Die Schule entschied sich für harte Arbeit. Die Lehrer schufen das Projekt „Suchtlos glücklich“, bald gab es Streitschlichter, das Projekt „Soziales Lernen“, einen Schülertreff, den Mittagstisch, das Pausenradio. Die Lehrer förderten Mitbestimmung auf allen Ebenen. Vor allem aber holten sie die Stillen aus ihren Ecken, die unsicheren Schüler, die in der Pause oft die Prügel abkriegen. Die Angst haben vor dem Versagen.

Bei der Aktion „Keiner glaubt, dass ich das kann!“ etwa konnten die unauffälligen Klassenkameraden ihre Hobbys vorstellen und endlich mal die Besten sein, im Jonglieren, Basteln, Torwandschießen. Fraglich, ob so etwas an einer Ghetto-Hauptschule in einer Großstadt verfangen würde – doch in dem bayerischen Dorf funktionierte es: Der Ton wurde freundlicher, die Stimmung entspannter, die Noten wurden besser.

Hofstetter glaubt, dass die Leistungen seiner Schüler vom Selbstvertrauen abhängen. „Wer einen Erfolg bestätigt kriegt, bei dem kommt Freude auf.“ Nur ganz wenige unterlägen in Taufkirchen noch dem „Null-Bock-Syndrom“, drei bis vier Schüler pro Jahrgang, schätzt der Konrektor, die Durchfallquote sinkt. Auch dieses Mal scheinen alle in der Neunten den Abschluss zu schaffen, die meisten haben schon eine Lehrstelle.

„Manche Bücher sind ja auch ganz cool“

Sie werden Bäcker, Kaminkehrer, IT-Techniker, Arzthelferin und Bürokaufmann. Oder sie gehen auf weiterführende Schulen, wo sie sich, sagt Deutschlehrerin Renate Holzinger, „jederzeit sehen lassen können“. Rechtschreibung ist auch für die 9b in Taufkirchen zwar gelegentlich eine harte Nuss, aber die Leistung steigt allmählich. In der Schülerbibliothek kümmern sich die 14-Jährigen selbst um ausreichend Jugendliteratur. Das verleitet zum Lesen, und manche Bücher, sagt ein Schüler, seien ja auch „ganz cool“.

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Die individuelle Förderung der Schüler kostet aber Geld. In Deutschland ist man da noch nicht so weit. Die meisten erfolgreichen Pisa-Länder haben in den vergangenen Jahren in die Bildung große Summen investiert – Deutschland hat seinen Etat in den letzten Jahren dagegen kaum erhöht.

Die Wurzel des Bildungsübels liegt aus der Sicht des OECD-Manns Schleicher im Umgang mit dem Geld. „Der deutsche Staatshaushalt spricht von Investition, wenn es um Autobahnen geht. Bildungsausgaben sind keine Investitionen — das sind Kosten.“